Fehlt hier nicht jemand? – Sind Ersatzmitglieder jederzeit nachzuladen?

Der Betriebsrat handelt bekanntlich im Rahmen zu fassender Beschlüsse. Im Verhältnis zum Arbeitgeber ist es wichtig, belastbare Entscheidungen zu treffen. Betriebsvereinbarungen, aus denen Mitarbeiter direkt Ansprüche herleiten können, müssen wirksam sein, um als geeignete Anspruchsgrundlage fungieren zu können. Entsprechend sollte es sich hierbei um ein sicheres Tagesgeschäft handeln.

Grundlage eines wirksamen Betriebsratsbeschlusses ist die rechtzeitige Ladung der Betriebsratsmitglieder unter Angabe der Tagesordnung. Sind Betriebsratsmitglieder verhindert, ist grundsätzlich das entsprechende Ersatzmitglied zu laden. Was einfach klingt, ist es indes in der Praxis nicht. Was gilt, wenn ein Betriebsratsmitglied seine Verhinderung sehr kurzfristig mitteilt? Muss dann durch den Betriebsratsvorsitz jederzeit nachgeladen werden? Diese Frage hat das BAG in einer Entscheidung vom 20.05.2025, Az. 1 AZR 35/24 beantwortet.

In dem zu entscheidenden Fall hatte ein Mitarbeiter Ansprüche aus einer älteren Betriebsvereinbarung ableiten wollen. Diese sollte jedoch nach Willen der Betriebspartner durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung abgelöst werden. Der Arbeitnehmer machte indes geltend, dass der Beschluss zu dieser unwirksam sei, entsprechend eine Ablösung nicht in Frage komme. Begründet hat er dies damit, dass von den geladenen Betriebsratsmitgliedern am Tage der Beschlussfassung eines aufgrund einer Krankheit verhindert gewesen, ein Ersatzmitglied jedoch nicht nachgeladen worden ist.

In der Tat ist regelmäßig die fehlende Ladung eines Ersatzmitgliedes Grund für die Unwirksamkeit einer wirksamen Beschlussfassung. Nur bis wann muss ein Ersatzmitglied geladen werden?

Nach § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG hat der Betriebsratsvorsitz die Betriebsratsmitglieder einschließlich der Ersatzmitglieder unter Mitteilung der Tagesordnung rechtzeitig zu laden. Aber ist eine Ladung auch dann erforderlich, wenn eine rechtzeitige Ladung nicht mehr möglich ist? Diese Frage hat das BAG mit nein beantwortet. Damit blieb zu klären, wann eine Rechtzeitigkeit der Ladung noch denkbar ist.

Das BAG beantwortet diese Frage mit dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung. Die rechtzeitige Ladung unter Übermittlung der Tagesordnung soll die Gelegenheit geben, sich ein Bild über die zu treffenden Entscheidungen zu machen und die Möglichkeit eröffnen, sich ordnungsgemäß auf die Sitzung vorzubereiten. Kurzum sollen die Gremiumsmitglieder keine unbedachten und unvorbereiteten Entscheidungen treffen.

Auch Ersatzmitglieder sind rechtzeitig zu laden. Die Beantwortung der Frage, ob eine Ladung noch rechtzeitig erfolgen kann, richtet sich nach den objektiven Umständen des Einzelfalls. Zum einen soll das Gremium möglichst vollständig besetzt sein. Zum anderen muss dem Ersatzmitglied aber auch ausreichend Zeit zur Vorbereitung zur Verfügung stehen. Wie lang dieser Zeitraum ist, hängt vom Umfang der Tagesordnung und der Komplexität der einzelnen Tagesordnungspunkte ab. Weiter sei zu berücksichtigen, dass ein Ersatzmitglied gegebenenfalls Vorbereitungen oder Absprachen zu treffen hat, bevor es seinen Arbeitsplatz verlassen kann.

Hinsichtlich der Frage, ob eine Ladung im Einzelfall noch rechtzeitig möglich ist, steht dem Betriebsratsvorsitz ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Ist danach eine rechtzeitige Ladung möglich, muss die Ladung erfolgen. Jedenfalls aber darf der Betriebsratsvorsitz regelmäßig annehmen, dass eine rechtzeitige Ladung nicht mehr möglich ist, wenn die Verhinderung eines Betriebsratsmitglieds ihm erst im Laufe des Tages der Betriebsratssitzung bekannt wird.

Für Betriebsratsvorsitzende ist die Entscheidung ein weiterer Baustein dafür, rechtssicheren Beschlüssen durch das Gremium den Weg zu ebnen. Noch die Vorinstanz war davon ausgegangen, dass die Ladung des Ersatzmitglieds unter allen dem Betriebsratsvorsitz zur Verfügung stehenden und zumutbaren Kommunikationswege noch vor der Sitzung umzusetzen ist. In der Praxis ist dieser Anspruch nicht selten eine Herausforderung. Dabei hat es die Rechtsprechung bislang auch hingenommen, dass das Ersatzmitglied völlig unvorbereitet seine Stimme abgibt.

Wie so oft, hat das BAG eine Einzelfallentscheidung getroffen. Gleichwohl reiht sie sich in eine Abfolge wichtiger Entscheidungen ein, welche die Wirksamkeit von Betriebsratsbeschlüssen hinterfragt und hier Strukturen schafft. Abzuwarten bleibt, wie das BAG den von ihm betonten weiten Beurteilungsspielraum des Betriebsratsvorsitzes weiter eingrenzt. Schließlich ist auch die vollständige Besetzung des Gremiums ein tragender Grundsatz der Willensbildung des Betriebsrats.

Dr. René von Wickede, NOMiA Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

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